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Maria Guțu: Homeland

Maria Guțu: Homeland

Willkommen daheim – oder doch nicht? Die moldawische Fotografin Maria Guțu lädt den Betrachter mit ihrer Serie auf eine Reise in ihr Heimatland ein, dem sie bis heute mit ambivalenten Gefühlen gegenübersteht. In ihren persönlichen Bildern spiegeln sich alle Facetten ihrer Emotionen wider.

Die Republik Moldau ist eines der ärmsten Länder Europas. Eine hohe Arbeitslosigkeit und der Mangel an Perspektiven prägen den Alltag. Etwa ein Viertel der Bevölkerung hat in den letzten 20 Jahren das Land aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Zurück bleiben meist die, die zu alt sind, um zum Arbeiten ins Ausland zu gehen – und die Kinder derer, die sich auf den Weg in die Fremde gemacht haben. Eines dieser Kinder war Maria Guțu. Die moldawische Fotografin wuchs bei ihren Großeltern in einer entlegenen Gegend im Norden auf. In ihrer Serie „Homeland“, entstanden zwischen 2019 und 2023, verarbeitet sie nun die Erinnerungen an diese Zeit. „Meine Kindheit und mein Hintergrund haben meine Arbeit stark geprägt. Ich war immer von der Natur inspiriert, von ruhigen Orten: Hügeln, Felsen und Wäldern, allgemein von Freiheit und freiem Geist. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind mit meinem Großvater kleine Ausflüge in die Natur unternommen habe. Er hatte ein Pferd und viele andere Tiere, und im Sommer gingen wir normalerweise aufs Feld, um Futter für sie zu holen“, erinnert sich die Fotografin.

„Meine wichtigsten kulturellen Einflüsse sind hauptsächlich schwarzweiß. Ich habe schon immer Schwarzweißfilme und alte Fotografien geliebt, deshalb denke ich bei meiner Arbeit nicht an Farbe, sondern an Licht und menschliche Emotionen.“

Traumartige Schwarzweißbilder machen die Erinnerung lebendig: Kinder in der Natur, Trachten, Männer, die traditionelle Musik spielen – das ist die eine Seite. Doch ihre Serie ist viel mehr als eine weichgezeichnete Rückschau aus einem sentimentalen Blickwinkel heraus. Immer wieder geht der Blick der Protagonisten ins Leere, als suchten sie einen Fixpunkt. Ratlos stehen sie vor der Kamera, manchmal mischen sich Verzweiflung und Verwirrung in ihre Gesichter. Fließen Tränen? Wohin sind diese Menschen unterwegs, und was ist ihre Perspektive? Bewusst lässt Guțu diese Fragen offen. Was auffällt: Ihre Bilder umfassen alle Generationen. Kinder, Jugendliche, Erwachsene – und sie alle scheint ein ähnliches Gefühl zu einen. Und auch menschenleere Bilder fügen sich in die Serie ein. Der Luftballon in der Pfütze oder die geköpfte Statue: Was ist geschehen – und geht es weiter? Eine seltsame Schwere und Melancholie liegen allem zugrunde.

„Ich wünsche mir für die Republik Moldau ein besseres Leben für die Menschen: eine gute, kostenlose Gesundheitsversorgung, ein neues Bildungssystem, mehr Möglichkeiten für die junge Generation und eine gute Versorgung für die Älteren.“

„Ich habe eine Hassliebe zu meinem Heimatland: Einerseits liebe ich die Natur und die Menschen, ihre Freundlichkeit und Offenheit, andererseits bin ich immer noch wütend über patriarchalische Tendenzen, Korruption, Armut und fehlende Zukunftsperspektiven für junge Leute. Moldawien ist für mich Heimat, es ist der Ort, an den ich immer wieder zurückkehren möchte, egal wo ich bin. Ich kenne die Menschen, ich verstehe sie oder versuche es, ich habe Lieblingsplätze, Hügel, wo ich Frieden und die Ruhe des einfachen Lebens spüre“, versucht Guțu, die Gefühle zu ihrer Heimat in Worte zu fassen. In Bilder gefasst hat sie diese ambivalenten Emotionen schon längst.

Vorgeschlagen wurde Maria Guțus Serie von Misha Domozhilov und Fedora Kaplan, die zur diesjährigen Gruppe der 80 internationalen LOBA-Nominatoren gehören.

Maria Guțu

Maria Guțu wurde 1996 in der Republik Moldau geboren. 2020 machte sie ihren Abschluss in Kinematografie an der Akademie für Musik, Theater und schöne Künste in Chișinău, 2022 schloss sie ihr Studium an der Docdocdoc School of Modern Photography in Sankt Petersburg ab. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. ist sie Gewinnerin des VID Foundation Mentorship 2023. Heute lebt sie in Glodeni, einer Stadt im Nordwesten der Republik Moldau.

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Porträt: © Maria Guțu