010203040506070809010011012013014015
Ziyi Le: New Comer

Ziyi Le: New Comer

Seine eigenen Gefühle wie innere Leere und Selbstzweifel legten den Grundstein für die sensible Porträtserie des chinesischen Fotografen. Über Weibo, ein Twitter-ähnliches Portal für Kurznachrichten in China, fand er die Protagonisten für seine Serie – und hielt den Gemütszustand einer Generation in Bildern fest.

Es gibt viele Möglichkeiten, mit negativen Gefühlen umzugehen. Eine davon ist es, Gleichgesinnte zu suchen und zu finden. Der chinesische Fotograf Ziyi Le ist noch einen Schritt weitergegangen – und hat Gleichgesinnte fotografiert. „Während meines gesamten Heranwachsens verbrachte ich wenig Zeit mit meinen Eltern, kommunizierte wenig, war lange Zeit entfremdet, was mir das Gefühl gab, mitten im Nirgendwo zu sein. Jedes Mal, wenn ich mit Familienproblemen konfrontiert wurde, wollte ich instinktiv ausweichen“, erinnert er sich. Im März 2020 zog er für einen beruflichen Neuanfang nach Hangzhou; schnell entwickelte sich jedoch auch die berufliche Routine für den jungen Fotografen zum Albtraum. Er entschied sich, der geistigen Leere und Entfremdung, die er immer stärker spürte, auf den Grund zu gehen und sie zu erforschen – und schaltete bei Weibo, einem Twitter-ähnlichen Portal in China, einen Aufruf. Mehr als 40 junge Menschen meldeten sich, und Le machte sich mit seiner Kamera an die Arbeit: Wie kann man Gefühle auf Bilder bannen, was sagen Gesichter über den emotionalen Zustand eines Menschen – und gibt es tatsächlich Gefühle, die eine ganze Generation einen und bewegen? „Die Fotografie fungiert als Vermittler zwischen mir und den Personen in meinen Werken. Die aufgenommenen Interaktionen können für mich die gleiche Resonanz haben wie für sie. Durch diese Bilder möchte ich dem Betrachter diesen Zustand vermitteln, insbesondere die persönlichen, privaten und emotionalen Aspekte, die oft unbemerkt bleiben“, erklärt er seinen Anspruch. 

„Im Zeitalter der raschen Mobilität verlassen immer mehr Menschen ihre Heimatstädte. Ich beziehe mich mit dem Begriff ‚New Comer‘ auf diese Gruppe, der auch ich angehöre.“

Ein junger Mann, der versunken aus dem Fenster blickt, ein Paar, das sich in einer Umarmung Halt zu geben scheint, der verlorene Blick auf den Bildschirm – sie alle eint eine gewisse Schwere und Orientierungslosigkeit, die sich in den zarten Porträts immer wieder Bahn brechen. Die Isolation durch die Corona-Pandemie hat diese Gefühle an vielen Stellen verstärkt: Angst um den Job oder gar Arbeitslosigkeit beschäftigten viele junge Leute, sie waren zeitweise in ihren Wohnungen und Häusern eingesperrt. „Ich konnte deutlich einen unsichtbaren Schatten spüren, der die meisten umgab“, erinnert sich Le. Und der Schatten bleibt. Existenzängste, Zukunftsfragen, Identitätssuche beschäftigen eine ganze Generation. Le hat seinen Weg gefunden, diese Fragen nach außen zu tragen und sie sichtbar zu machen, vielleicht sogar einen Dialog darüber zu starten. „Auch wenn ich nicht viel mit den meisten von ihnen gemeinsam habe, berührt mich doch jeder Einzelne von ihnen, seine Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln, und seinen Versuch, auf positive oder negative Weise Erlösung zu finden“, sagt Le. Seine eigene Art der Erlösung: seine Bilder.

Vorgeschlagen wurde Les Serie von Gu Zheng, der zur diesjährigen Gruppe der internationalen LOBA-Nominatoren gehörte.

Ziyi Le

wurde 1993 in Fujian, China geboren. 2017 Abschluss des Modedesignstudiums am Minnan Institute of Technology in China. 2018 veröffentlichte er im Selbstverlag das Fotobuch „Well Forever“ (长寿水井) und hatte 2019 eine Einzelausstellung in der Banshan Gallery in Tokio, Japan. Heute lebt er in Yunnan im Südwesten Chinas.

Zur Website

Porträt © Ziyi Le