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Adriana Loureiro Fernandez: Paradise Lost

Adriana Loureiro Fernández: Paradise Lost

Seit nunmehr einem Jahrzehnt dokumentiert die Fotografin die tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Heimatland Venezuela und erzählt von einer Generation, die nach Freiheit und positivem Wandel strebt – aber auch von den Erschütterungen, die das Land seit geraumer Zeit durchlebt. Das Projekt ist eine persönliche Auseinandersetzung mit einer Krise, die Millionen Venezolaner in die Flucht treibt und das Konzept von Heimat neu definiert.

„Paradise Lost“ ist vieles gleichzeitig: eine Chronik des venezolanischen Niedergangs, ein Porträt einer Gesellschaft im Umbruch, eine Darstellung und Selbstreflexion junger Leute, die in Ungewissheit aufwachsen. Vor allem aber gehen die Bilder dieses Projekts der Seele eines Landes mit bestechenden Kontrasten auf die Spur.

„‚Paradise Lost‘ hat einen Herzschlag und einen Puls. Es ist ein Projekt, das sich mit dem Land weiterentwickeln soll.“

Adriana Loureiro Fernández begann diese fotografische Reise als junge Erwachsene, inmitten wachsender Unruhen und sich aufbäumender Studentenproteste im Jahr 2014. Ihre Sammlung von visuellen Eindrücken wuchs im Laufe der Zeit stetig an – sie alle zeigen ein Land der krassen Widersprüche: Venezuela hat die höchste Inflationsrate der Welt, aber auch einige der größten Ölreserven. Es hat die höchste Mordrate Südamerikas mit den niedrigsten Löhnen und der höchsten Armutsrate der westlichen Hemisphäre. Gleichzeitig ist es bekannt für die meisten Schönheitsköniginnen und den höchsten Wasserfall der Welt inmitten traumhafter Natur.

So mäandert auch Loureiro Fernández’ Bildsprache konstant zwischen Schönheit und Schrecken. Ein in Orangerot getauchter Himmel über kargen Feldern symbolisiert den Niedergang des „Paradieses“. Familien, die trotz lodernder Flammen im Hintergrund Brettspiele spielen, zeigen eine surreale Normalität inmitten der Krise. Intime Einblicke in beengte Wohnräume offenbaren die Widerstandsfähigkeit der Menschen, die trotz aller Unzulänglichkeiten Wärme und Zusammenhalt zu finden wissen. Ihre Protagonisten sind keine bloßen Mittel zum Zwecke der Anschauung – es sind Menschen, zu denen die Fotografin Bindungen aufgebaut hat, um ihre Geschichten wiederzugeben. „‚Paradise Lost‘ ist ein Spiegel meines Landes, aber auch ein Spiegel meiner selbst“, erklärt Loureiro Fernández. „Ich bin mit dem Projekt gewachsen, persönlich und beruflich.“ Das Projekt dient ihr als Experimentierfeld, auf dem sie Bünde knüpft, ihren künstlerischen Ansatz hinterfragt und sich stetig weiterentwickelt. Gleichzeitig ist es ein Versuch, die Realität festzuhalten in einem Land, in dem die Wahrheit regelmäßig von den Autoritäten verbogen wird.

„Ich versuche, eine Art Bibliothek aufzubauen, in der künftige Generationen nachschlagen können, um zu sehen, was wir falsch gemacht haben, damit sich die letzten zehn Jahre hoffentlich nicht wiederholen“, sagt die Fotografin. Sie hofft, dass die Betrachter durch ihre Bilder die Ursachen für das Scheitern eines Landes verstehen, das auf dem Papier für Erfolg und Stabilität bestimmt war – und stößt damit einen wichtigen Diskurs über die Wahrung demokratischer Freiheiten an.

„Ich möchte glauben, dass unsere Arbeit hier ein Kampf gegen das Vergessen ist, gegen Umschreibungen oder Neuerfindungen unserer Geschichte.“

Aber damit ist noch lange nicht alles gesagt. „Paradise Lost“ entwickelt sich stetig weiter und passt sich an die Dynamiken des Landes an. „Jedes Jahr finde ich ein weiteres Thema, von dem ich denke, dass ich es zu einer Hauptgeschichte erklären könnte, die Venezuela erklärt – sowohl mir selbst, als auch anderen“, stellt Loureiro Fernández fest. Ihr Traum ist es, das Projekt abzuschließen, wenn ihre Generation das erreicht hat, wofür sie seit zehn Jahren kämpft: Freiheit.

Vorgeschlagen wurde Adriana Loureiro Fernández’ Serie von Alejandro Cegarra, der zur diesjährigen Gruppe der 80 internationalen LOBA-Nominatoren gehört.

Adriana Loureiro Fernández

Wurde 1988 geboren und arbeitet als freischaffende Multimedia-Journalistin in Caracas, Venezuela. Ihr Fokus liegt auf sozialen Konflikten und Jugendkultur. Ihre Arbeiten erschienen unter anderem in der „New York Times“ und der „Los Angeles Times“. Sie hat einen Master in Journalismus von der Columbia University, New York, und erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Remi Ochlik Award. Loureiro Fernández ist Mitglied von Women Photograph und war Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.

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Porträt: © Carolina Cabral und Carlos Becerra